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Vierundzwanzigster Dezember. Heilig Morgen.
Ich sitze in einem kleinen Ort auf dem Hocker und schaue teilnahmslos aus dem Fenster. Der starke Schneefall zwingt die Autofahrer beträchtlich langsam zu fahren. Knirschend quälen sich ihre Räder voran. Kinder sind mit aus Garagen oder Kellern entstaubten Schlitten freudig am Spielen. Wann hatte es hier mal pünktlich zur Weihnachtszeit geschneit?
Dicke Eichen, die, die winterliche Viehweide umsäumen, sind mittlerweile komplett weiß geschmückt. Unter ihnen hasten vermummte Menschen zu den Kaufzentren, um die letzten Einkäufe für das nahende Fest zu tätigen. Eine märchenhafte Landschaft erlaubt meinen Augen ein bisschen länger am Küchenfester zu verharren. Der weiße Belag scheint alles glanzvoll zu verdecken, das fasziniert mich. Die Küche ist schon lange leer. Trotzdem birgt sie etwas Beruhigendes in sich. Ich gehe mit einem wärmenden Glas Tee in die gute Stube. Wenige Möbel zeigen wie sie mal aussah. Der ruhelose Blick führt mich weiter in den Garten. Hier wird ebenfalls puderig verzaubert.
Zwei Raben stören lautstark schimpfend diese Idylle. Sie tanzen duellierend um den kleinen Teich, der zugefroren sanft schläft. Die wenigen Fische, die der gefräßige Reiher dieses Jahr übrig gelassen hat, halten sicherlich ihren wohlverdienten Winterschlaf mitten in dieser traditionellen Siedlung. Hell verklinkerte Häuser auf deren roten Spitzdächern liebevolle Kaufhaus-
Was hat mich hierher verzogen? Warum bin ich hier? Ich nippe an dem heißen Tee und überlege mir noch einen Weihnachtsbaum zu kaufen, dann wäre der Raum nicht so öde. Die zahlreichen Lichter würden vielleicht etwas Freude, etwas Glanz ins Zimmer hauchen. Es klingelt plötzlich. Ich zucke durch den schrillen Lärm fast ängstlich zusammen. Mein Nachbar Knut, ein schlanker, hagerer Kerl fragt an, ob er mir einen Baum mitbringen soll? Jetzt muss ich aktiv werden. Meine Gedanken überfliegen noch einmal geschwind das Zimmer und ich folge ihm nickend. Nur nicht sentimental werden an so einem Tag. Das Leben geht weiter.
Wir verlassen mit seinem Kombi, „er liebt sein Auto über alles, hat es sogar pünktlich zum Fest selbst mit der Hand gewaschen. Nein, ich sollte gestreichelt formulieren", die kleine verschneite Ortschaft. Wenig später erreichen wir mühsam die nächst größere Stadt. Hier wird das Leben spürbar turbulenter. Die Schneemaschen sind geräumt meist von den vielen fahrenden Autos, die sich schleichend in Richtung Discounter bewegen. Dort bekommt man alles, was das Herz begehrt. Unzählige, kostenlose Parkplätze sind gerammelt voll. In diesem Konsumtempel wird zum Schein das letzte Geld ausgegeben, um beim Fest der Freude teilnehmen zu können. „the show must go on", lautet das Motto.
Wir haben Glück. Es gibt noch eine wunderschön gewachsene Fichte, die nicht rechtzeitig abgeholt wurde. Stumm, mit einem verschmitzten Lächeln verladen wir sie vorsichtig ins Auto. Auf der Fahrt zurück das gleiche Bild, überall hetzende Menschen, die, die Vorstellung des Festes aus Tradition übernommen haben. Sicherlich keine Gedanken
verschwenden, was dieses Fest der Liebe bedeutet. Komisch. Es gibt doch genügend
Literatur in allen Richtungen darüber. Ist unsere auf Äußeres gerichtete Gesellschaft selbst an historischen Tagen narzisstisch? Werde ich sensibel für alltägliche Dinge, die ich nie bewusst beachtete?
Der Baum wird vor dem Hauseingang sorgsam mit den Händen gereinigt. Wir richten ihn vorsichtig auf. „Seltsam", staune ich, „hinterlässt dieses Symbol solch einen Eindruck auf mich, obwohl ich weiß, dass ich dieses Jahr hier alleine verbringen werde?"