Joachim Engler

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ferrari I

Leseprobe


Vierundzwanzigster Dezember. Heilig Morgen.

Ich sitze in einem kleinen Ort auf dem Hocker und schaue teilnahmslos aus dem Fenster. Der starke Schneefall zwingt die Autofahrer beträchtlich langsam zu fahren. Knirschend quälen sich ihre Räder voran. Kinder sind mit aus Garagen oder Kellern entstaubten Schlitten freudig am Spielen. Wann hatte es hier mal pünktlich zur Weihnachtszeit geschneit?
Dicke Eichen, die, die winterliche Viehweide umsäumen, sind mittlerweile komplett weiß geschmückt. Unter ihnen hasten vermummte Menschen zu den Kaufzentren, um die letzten Einkäufe für das nahende Fest zu tätigen. Eine märchenhafte Landschaft erlaubt meinen Augen ein bisschen länger am Küchenfester zu verharren. Der weiße Belag scheint alles  glanzvoll zu verdecken, das fasziniert mich.  Die  Küche ist  schon lange leer. Trotzdem  birgt sie  etwas Beruhigendes in sich. Ich gehe mit einem  wärmenden Glas Tee  in die gute Stube. Wenige Möbel zeigen wie  sie mal  aussah. Der ruhelose Blick führt mich weiter in den Garten. Hier wird ebenfalls puderig verzaubert.
Zwei Raben stören lautstark schimpfend diese Idylle. Sie tanzen duellierend um den kleinen Teich, der zugefroren  sanft schläft. Die wenigen Fische, die der gefräßige Reiher dieses Jahr  übrig gelassen hat, halten sicherlich ihren wohlverdienten Winterschlaf mitten in dieser  traditionellen Siedlung. Hell verklinkerte Häuser auf deren roten Spitzdächern liebevolle Kaufhaus-Weihnachtsmänner in allen Positionen das Fest ankündigen,  sind mit größeren oder kleineren Gärten ausgestattet. Der Traum der Eigenheimbesitzer. Dort wird viel im Jahr gerackert. Es soll und muss schön sein, für sich selbst und die Anderen.  Jeder soll sofort erkennen, dass man ordentlich ist.

Was hat mich hierher verzogen? Warum bin ich hier?  Ich nippe an dem heißen Tee und überlege mir noch einen Weihnachtsbaum zu kaufen, dann wäre der Raum nicht so öde. Die zahlreichen Lichter würden vielleicht etwas Freude, etwas Glanz ins Zimmer hauchen. Es klingelt plötzlich. Ich zucke  durch den schrillen Lärm fast ängstlich zusammen. Mein Nachbar Knut, ein schlanker, hagerer Kerl fragt an,  ob er mir einen Baum mitbringen soll? Jetzt muss ich aktiv werden. Meine Gedanken überfliegen noch einmal geschwind das Zimmer und ich folge ihm nickend. Nur nicht sentimental werden an so einem Tag. Das Leben geht weiter.
Wir verlassen mit seinem Kombi, „er liebt sein Auto über alles,  hat es sogar pünktlich zum Fest selbst mit der Hand gewaschen. Nein, ich sollte gestreichelt formulieren",  die kleine verschneite Ortschaft.  Wenig später erreichen wir mühsam die nächst größere Stadt. Hier wird das Leben spürbar turbulenter. Die Schneemaschen sind  geräumt meist von den  vielen fahrenden Autos, die sich schleichend in Richtung Discounter bewegen. Dort bekommt man alles, was das Herz begehrt.  Unzählige, kostenlose  Parkplätze sind gerammelt voll. In diesem Konsumtempel wird zum Schein das letzte Geld ausgegeben, um beim Fest der Freude teilnehmen zu können. „the show must go on", lautet das Motto.
Wir haben Glück. Es gibt noch eine wunderschön gewachsene Fichte, die  nicht rechtzeitig abgeholt wurde. Stumm, mit einem  verschmitzten Lächeln verladen wir sie vorsichtig ins  Auto.   Auf der Fahrt zurück das gleiche Bild, überall hetzende Menschen, die,  die Vorstellung des Festes aus Tradition übernommen haben. Sicherlich keine Gedanken
verschwenden, was dieses Fest der Liebe bedeutet. Komisch. Es gibt doch  genügend
Literatur in allen Richtungen  darüber. Ist unsere auf Äußeres  gerichtete Gesellschaft selbst  an historischen Tagen narzisstisch? Werde   ich  sensibel für alltägliche Dinge, die ich  nie bewusst beachtete?
Der Baum wird  vor dem Hauseingang sorgsam mit den Händen gereinigt.
Wir richten ihn  vorsichtig auf. „Seltsam", staune ich, „hinterlässt  dieses Symbol solch einen Eindruck auf  mich, obwohl ich weiß, dass ich dieses Jahr hier alleine verbringen werde?"

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